René Herzer ist Geschäftsführer von Neuland + Herzer Brand New Media. Die Agentur hat unter anderem Mercedes-Benz bei der Mixed-Tape-Podcastreihe und dem Aufbau von Mercedes-Benz-TV betreut. Gleichzeitig haben die Deutschen den Autohersteller und auch Schweizer Firmen wie Swisscom Directories AG in die virtuelle Welt Second Life begleitet. René Herzer und der Betreiber dieses Blogs kennen und duzen sich durch das Second-Life-Projekt von Coop und den Videopodcast von Schreiber vs Schneider.
Was haben Du und Dein Second-Life-Avatar in den vergangenen Wochen erlebt?
Mein alter ego hat neue Gesichter bekommen und schaut sich auf anderen Plattformen derzeit um. Zum Beispiel das Projekt www.twinity.de ist interessant.
Ihr habt einige bekannte Kunden in die dreidimensionale Welt begleitet. Der Suchservice von Directories ist verschwunden. Die Coop-Promotoren Reto und Lara schlafen mit ihren Bernhardiner Welpen in irgendeinem Versteck. Und als einer Eurer prominentesten Kunden in diesem Bereich hat sich nun auch Mercedes-Benz aus Second Life verabschiedet. Haben die Spötter also recht behalten: War das alles nur ein Hype?
Second Life ist eine von vielen Plattformen auf der man sich mit einem Avatar bewegen kann. 3D wird eine wichtige Rolle im Internet spielen und als Technik neben anderen Technologien existieren. Es wird aber nicht die gesamte Internetstruktur ersetzen, weil die 3D-Darstellung nicht immer passend ist zum jeweiligen Informationsbedürfnis bzw. zur aktuellen Interaktion. Second Life bietet als Plattformtechnologie eine Menge Freiraum zum experimentieren für Nutzer und somit auch für Marken, denn ohne Nutzer kein Experiment. Ein grosses, virtuelles Labor. Was unsere Kunden betrifft, haben wir alle Projekte mit dem eindeutigen Etikett „Experiment“ von Anfang an versehen. Es geht darum das Nutzerverhalten kennenzulernen, die Art und Weise der Interaktion, wenn Nutzer direkt über einen Avatar mit der Marke in Kontakt kommen (was wollen die wissen, worüber wird geredet) und wie sich die Nutzer untereinander verhalten.
Ausser den Spesen ist da also doch noch was gewesen. Was hast Du persönlich für die kommenden Webjahre in Second Life gelernt?
Die Begegnung von Avatar zu Avatar – also von Mensch zu Mensch, da hinter jedem Avatar ein Mensch steckt, ist spannend. Soziale Nähe wird spürbar, weil die Bewegung, das Aussehen und das Verhalten meines Gegenübers mit in den Dialog reinspielen. Das ist weit mehr als Textzeilen in einem Chat. Gelernt habe ich, dass die Etablierung von 3D-Welten als Teil des Internets nicht schlagartig erfolgen wird, sondern schleichend in den Web-Alltag Einzug hält. Das ist ähnlich wie Video heute als normal empfunden wird und bis vor kurzem u.a. Bandbreitenbedingt gar nicht existierte.
Ich persönlich gehe mit dem Gefühl raus, das feste Standorte in so einer dreidimensionalen Welt teuer und nicht ganz einfach sind. Bei unserer gemeinsamen Aktion für Coop hat mir gefallen, dass die Promotoren sich frei bewegen konnten und ihre Zielgruppe an jedem Ort selbst ansprechen konnten. Gleichzeitig sind sie günstiger als eine feste Insel. Was könnten andere Kunden von Euch aus Ihren Engagements gelernt haben?
Jede Marke und jedes Produkt brauchen eine Platzierung die zu ihren Produkten passt. Ein Autohersteller mit einer Premiummarke wie Mercedes-Benz steht für ein bestimmtes Produkt, nämlich eben für Autos. Wenn er die den Nutzern präsentiert, dann braucht er dafür eine Insel, damit alle Anforderungen an die Produktpräsentation ausgeschöpft werden können die zur Verfügung stehen, wenn man eine Insel betreibt. Die Coop steht für tausende von Produkten. Da die nicht alle abgebildet werden können – und vor allem nicht müssen. Deshalb war der Weg Markenbotschafter zu entsenden, die auch neben dem das sie als solche erkennbar sind, den Nutzern etwas unverbindlich schenken, ein passender. Die Erfahrungen von Avatar zu Avatar werden gemacht und die Dialoge ergeben interessante Erkentnisse zur Frage: Was wollen die Nutzer hier eigentlich und wie reagieren die auf uns?
Gibt es ein Erlebnis im Second Life von dem Du Deinen Kindern in zehn Jahren noch erzählen wirst?
Bisher nicht. Vieles finde ich bemerkenswert und erstaunlich. Teilweise lustig und teilweise erschreckend. Aber bei allem scheint das echte Leben die Menschen zu leiten und deren Handeln zu bestimmen. Daran ändert die 3D-Darstellung nichts.
Letztendlich muss man aus heutiger Sicht wohl trotzdem sagen, dass Linden Lab als Macher von Second Life der grosse Erfolg verwehrt blieb. Woran liegt das?
Die Technik ist unausgereift und das ist auf Dauer frustrierend für die Nutzer. Das Prinzip einer eigenen Ökonomie weckt Goldgräbergefühle die aber an den technischen Herausforderungen scheitern. Die Usability des Clients ist verbesserungswürdig. Alles zusammen ist das zuviel für einen Markterfolg. Ich traue Linden Lab aber zu, dass sie es verbessern. Das geschieht ja auch bereits kontinuierlich. Es sind eine Menge neuer Plattformen in frühen Betaphasen am Markt, die großen Spielehersteller verknüpfen ihre 3D-Welten mit sozialen Netzwerken und erschaffen ebenfalls eigene Ökonomien und das Prinzip „3D-Darstellung“ wird seine Rolle im Internet spielen.
Es heisst zwar immer World Wide Web, aber Zeitungen sind ja auch im Internet an ihrer lokalen Zielgruppe interessiert. Wie können regionale Tageszeitungen von solchen internationalen Trends wie Second Life trotzdem profitieren ohne sich zu ruinieren?
Das ist zur Zeit schwer bis gar nicht möglich in Second Life. Die oben erwähnte Plattform Twinity (ich bin mit den Machern übrigens nicht verwandt oder verschwägert und habe auch keine Anteile am Unternehmen) hat dieses Problem des mangelnden lokalen Bezugs erkannt und bildet in ihrer Welt die Realität nach. Es gibt z.B. Berlin als Stadt und jeden Ort Berlins nur einmal, so wie in der Realität. Das zieht die Menschen mit deren Avatare an, die mit Berlin in einer Verbindung stehen, also z.B. dort wohnen, weil sie wissen wo sie hingehen müssen um gleichgesinnte zu treffen. Das schafft lokalen Bezug und bietet den Betreibern von lokalen Angeboten dann auch den passenden Rahmen für deren Inhalte. Eine Zeitung kann dabei durchaus den Betrieb des Kleinanzeigenmarkts, den Ausgehtipps und der Berichterstattung übernehmen. Hier verschwimmt dann auch die Grenze zwischen virtueller und realer Berichterstattung.
Wenn wir den Trends folgen sind wir schon lange nicht mehr im Second Life. Stattdessen überlegen wir uns, ob wir noch twittern wollen oder was uns die hundertste Herausforderungen zum Film-Quiz bei Facebook noch bringt. War das also schon alles in Sachen dreidimensionales Internet oder gibt es bereits Nachfolger am Horizont?
Mobiltelefone mit GPS und einer guten 3D-Engine werden einen virtuellen Layer in die Realität schieben und Informationen mit realen Objekten, die ich durch die Kamera in meinem Display sehe, verknüpfen. Man spricht von Augmented Reality oder erweiterter Realität. Das geht weit über die künstliche Nachahmung und versuchsweise Abbildung der Realität hinaus, weil es die Realität ist. Es braucht keine Plattform wie Second Life oder all die anderen mehr, weil die uns umgebende Welt die ultimative Projektionsfläche bietet. Kein Objekt wie zum Beispiel ein Haus, muss mehr mit einfacher Klötzchenbauweise ruckelnd nachgebaut werden. Es ist ja perfekt vorhanden.
Eine Webseite vom BIP, dem Michelin-Männchen, hat es sehr schön vorgemacht: Ein dreidimensionale Feeling lässt sich auch ohne Second Life im Web erleben. Wo siehst Du die Zukunft und habt ihr bereits Aufträge für Web-Anwendungen mit dreidimensionalen Elementen?
3D-Visualisierungen werden teil des Web-Erlebnisses und 2D- und 3D-Internet findet gleichzeitig im Browser statt. Wir haben konkret eine Augmented-Reality-Anwendung entwickelt, mit der sich zum Beispiel Produkte in 3D animiert darstellen lasse und in die Realität integrieren lassen. Das eignet sich sehr gut für die Darstellung komplexer Sachverhalte oder Produktpräsentationen und erschliesst eine neue Dimension in der Virtualisierung der Realität.
Youtube-Video zum Auftritt der Coopzeitung in Second Life
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